5.1 Kannibalismus in den eigenen vier Wänden
Im Folgenden befassen wir uns mit dem intraspezifischen Kannibalismus befassen, genauer dem Infantizid, also dem Töten (und Fressen) von Nachkommen der gleichen Art. Das Verhalten, das für uns Menschen so unvorstellbar ist, kommt im Tierreich überraschenderweise gar nicht so selten vor. Möglichen Gründen dafür werden wir mit drei Beispielen aus dem Tierreich auf den Grund gehen (Abb. 5.1). Lesen Sie diese durch und beantworten Sie die dazugehörigen Antworten unten.

Abbildung 5.1: Infantizid wurde beim Feldhamster (links), der Echsenart Eutropis longicaudata (Mitte) und der Sandgrundel (rechts) gefunden.
Hamster und deren Nachkommen
Hamster-Weibchen zeigen ein auffallendes Verhalten in Abhängigkeit der Grösse ihres Wurfs. So wurde gezeigt, dass Weibchen bei Würfen von acht oder neun Jungen regelmässig zwei von ihnen fressen. Als dann zwei zusätzliche Junge in einen bestehenden Wurf eingebracht wurden, frass die Mutter insgesamt vier Hamsterjunge. Wenn hingegen einige Junge direkt nach der Geburt entfernt wurden, konnte kein Kannibalismus beobachtet werden. Zusätzlich wurde beobachtet, dass die Auswahl der Jungen, die gefressen werden, offenbar nicht willkürlich erfolgt. Es scheint, als ob die Mutter die schwächsten oder kleinsten Neugeborenen wählt.
Raubtiergefahren für Eutropis longicaudata
Die Echsenart Eutropis longicaudata zeigt in Situationen starker Bedrohung ein aussergewöhnliches Verhalten: Wenn sich wiederholt Raubtiere ihren Eiern nähern, frisst die Mutter ihre eigenen Eier. Verhaltensstudienstudien haben gezeigt, dass dieses Verhalten vor allem dann ausgelöst wird, wenn die Bedrohung mehrfach und in kurzen Abständen erfolgt. Zusätzlich zu den direkten Beobachtungen des Verhaltens wurde ersichtlich, dass dieses Verhalten häufig in Situationen auftritt, in denen die Mutter bereits schwach ist oder in einem Lebensraum lebt, der ständigen Bedrohungen durch Fressfeinde ausgesetzt ist.
Kannibalismus der Sandgrundel
Das Sandgrundel-Männchen bewacht die Eier, die von mehreren Weibchen in seinem Nest abgelegt wurden. Studien haben gezeigt, dass es die Eier regelmässig untersucht und in bestimmten Situationen die später schlüpfenden Eier frisst. Das Männchen entfernte systematisch die Eier, die sich langsamer entwickelten, und nutzte so die Gelegenheit, sich erneut zu paaren. Beobachtungen während der Experimente zeigen ausserdem, dass das Männchen eine erhebliche Energie in die Bewachung seines Nests investiert.
◑ Aufgabe 1. Ordnen Sie folgende Aussage ein: «Kannibalismus von eigenen Kindern im Tierreich lässt auf ein egoistisches Verhalten bestimmter Individuen schliessen.» Stimmen Sie dem zu oder nicht? Begründen Sie Ihre Antwort.
● Aufgabe 2. Was sind mögliche evolutiven Konsequenzen dieses Infantizid-Verhaltens auf das Überleben der Population?
◑ Aufgabe 3. Erstellen Sie eine Kosten-Nutzen-Analyse für eines der drei Beispiele oben.