1.3 Hypothesen, Experimente und der wissenschaftliche Erkenntnisgewinn
Was wir in den ersten Aufgaben dieses Kapitels erarbeitet haben, lässt sich bereits als Verhaltensuntersuchung bezeichnen. Dabei wurde eine konkrete Situation analysiert, um zu prüfen, ob sich die allgemeine Definition auch auf spezielle Fälle anwenden lässt. In den Naturwissenschaften spricht man in diesem Zusammenhang vom induktiven Schlussfolgern.
Durch das Sammeln und Analysieren von Beobachtungen lassen sich mithilfe logischer Kombinationen wichtige Erkenntnisse gewinnen. Da man dabei schrittweise zu einer Schlussfolgerung gelangt, nennt man diese Form des Erkenntnisgewinns induktiv (lateinisch in = hinein, ducere = führen). Aus einzelnen Beobachtungen versuchen wir also, Verallgemeinerungen abzuleiten, um unsere Umwelt zu beschreiben und besser zu verstehen.
Solche Beobachtungen ermöglichen es uns, eine Hypothese aufzustellen: eine begründete Vermutung, mit der wir eine bestimmte Erscheinung erklären wollen. Entscheidend ist dabei, dass sich aus der Hypothese eine überprüfbare Vorhersage ableiten lässt, die wir in einem wissenschaftlichen Experiment testen können.
An dieser Stelle kommt die zweite wichtige wissenschaftliche Herangehensweise zum Tragen: das deduktive Schlussfolgern, das einer umgekehrten Logik folgt. Dabei wird von einer allgemeinen Annahme (z.B. einer Hypothese) ausgegangen, um vorherzusagen, wie sich diese in einem konkreten Fall auswirken sollte. Wir beginnen also mit einer bestimmten Vermutung und prüfen durch Experimente und Beobachtungen, ob die daraus abgeleiteten Erwartungen mit den tatsächlich erzielten Resultaten übereinstimmen. Dieses Hypothesentesten folgt einer «Wenn …, dann …»-Logik – konkreter: Wenn unsere Hypothese zutrifft, dann sollte ein bestimmtes Verhalten beobachtbar sein.
Wichtig ist dabei, sich bewusst zu machen, dass eine übereinstimmende Beobachtung keinen Beweis der Hypothese darstellt. Vielmehr bedeutet sie lediglich, dass die Hypothese im Licht des aktuellen Wissensstands eine plausible Erklärung bietet. In Wirklichkeit versuchen wir beim Hypothesentesten nicht, unsere Vermutung zu beweisen, sondern sie zu widerlegen.
Am Ende eines wissenschaftlichen Experiments folgt die Interpretation der Resultate und der gefundenen Zusammenhänge. Diese werden wir in den nächsten Kapiteln vertiefen. Zuvor befassen wir uns jedoch noch eingehender mit der wissenschaftlichen Herangehensweise in Verhaltensexperimenten.

Abbildung 1.2: Graphisch vereinfachte Darstellung des wissenschaftlichen Arbeitens.
◑ Aufgabe 3. Formuliere mindestens drei Aspekte, in denen sich das induktive und das deduktive Erforschen voneinander unterscheiden.
◑ Aufgabe 4. Betrachten Sie die Bilderreihe in Abbildung 1.2 und erläutern Sie, wie sich die dargestellten Schritte durch induktives und deduktives Schlussfolgern miteinander verbinden lassen. Stellen Sie dazu auch stichwortartig den Ablauf des wissenschaftlichen Arbeitens zusammen.
● Aufgabe 5. Beim Testen von Hypothesen ist es wichtig, sich vor Augen zu führen, dass Hypothesen nicht bewiesen, sondern nur widerlegt werden können. Überlegen Sie sich deshalb, welche Aspekte wissenschaftlichen Arbeitens besonders entscheidend sind, um die Aussagekraft eines Resultats möglichst gut abzusichern.